Stellungnahme zur UG-Novelle

An das
Bundesministerium
für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Abteilung IV/9, Legistik
legistik.wissenschaft@bmbwf.gv.at

An das
Präsidium des Nationalrats
begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

Betreff: Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Universitätsgesetz 2002 – UG, das Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz – HS-QSG und das Hochschulgesetz 2005 – HG
geändert werden


Bezug:

GZ. 2020 – 0.723.953
ME 79/ME
Begutachtungsverfahren

Stellungnahme der Plattform Bildung Brennt

Als Lehrende, Studierende, Schüler:innen, Angestellte an Universitäten und mit dem Bildungssystem verbundene Personen sowie diverse Unterstützer:innen lehnen wir die Eckpfeiler der UG Novelle entschieden ab.

Über 24.000 (Stand: 14.01.2021) Unterzeichner:innen sowie über 1.400 Erstunterschreibende unterstützen die von uns artikulierte Position via einer Petition. Siehe:
https://mein.aufstehn.at/petitions/bildung-brennt-neues-universitatsgesetz-stoppen
Diese hohe Anzahl an Unterstützer:innen ist bezeichnend dafür, dass die Regierung die Bedürfnisse der von der Novelle Betroffenen weitestgehend ignoriert.

Wir halten es für ein problematisches Anzeichen, dass die Gesetzesgeber:innen bereits vor, aber auch während der Begutachtung, diverse, unter anderem auch verfassungsbezogene Bedenken in Diskussionen abgewehrt haben. Deshalb befürchten wir einen Umgang, wie er uns in der Pandemie schon oft in anderen Bereichen vor Augen geführt wurde, bei dem weitestgehend nicht auf Kritik oder Bedenken eingegangen wird. Dem Vorgehen der Regierung folgend, scheint eine Situation angestrebt zu werden in der bewusst verfassungswidrige Paragraphenänderungen vollzogen werden. Diese müssen dann erst recht wieder eingeklagt und danach angepasst werden. Das darf nicht der Fall sein. Es ist ein aus unserer Perspektive respektloses und demokratiegefährdendes Vorgehen.

Wir machen keinen Unterschied zwischen studierenden Arbeitnehmer:innen und Studierenden, die es sich leisten können, keiner Lohnarbeit nachzugehen.
Diesbezüglich sprach der maßgeblich an der Novelle beteiligte Sektionschef im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung im Rahmen einer Diskussion an der Uni Graz(UG-Reform 2021:„Effizienz-Novelle“?, am 9.12.2020) von einer Frage der „Studienkultur“[sic]. Diese solle sich an jungen Menschen, die effizient studieren, orientieren und nicht an dem lebensbegleitend lernenden „LKW Fahrer“ [sic].
Unsere Antwort darauf ist: Die Studierendenkultur ist divers und auch „LKW Fahrer“[sic] dürfen und sollen studieren können.
Wir sprechen uns für eine vielfältige, tolerante, interdisziplinäre Studierendenkultur aus und wehren uns vehement gegen jegliche Alters-, Klassen- und rassistische Diskriminierung.

Um dies zu ermöglichen, braucht es Strukturen, die den Zugang zu Bildung ermöglichen für Menschen jeden Alters, sowie für Menschen, die nicht über strukturelle und/oder finanzielle Ressourcen verfügen.

Stattdessen setzt die UG-Novelle und damit die politischen Verantwortungsträger:innen auf Bestrafung und abschreckende Pädagogik, anstatt auf selbstbestimmte Lebensentwürfe – und das im Jahr 2021.

Nein zu grundlegenden, nicht krisenbezogenen Gesetzeseingriffen, ob im Bildungsbereich oder anderswo.
Nein zu einer Entdemokratisierung des Hochschulsystems.
Nein zu einer Einschränkung des freien Hochschulzugangs.
Nein zu einem Qualitätsverlust der Hochschullehre.
Nein zur weiteren Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse zeitlich befristeter Angestellter.

Wir kritisieren vehement den Zeitpunkt der Novelle. Auch der Bildungsbereich ist von der aktuellen Covid_19 Pandemie betroffen. Aus internen Erhebungen schließen wir, dass sich bis zu 1/3 der Studierenden aktuell nach wie vor schlecht oder nicht in der bisherigen Form an der Lehre beteiligen kann. Sei es wegen unzureichender technischer Geräte und Infrastruktur und/oder einer weiteren Prekarisierung von Lebensumständen. Auch für Lehrende gibt es massive Mehrbelastung aufgrund der Pandemie. Diese manifestiert sich auch in einer Vielzahl psychosozialer Studien, die einen eindeutig negativen Trend aufzeigen.

Warum in solch einer Zeit die Novelle starten?

Solch ein Vorgehen schwächt das Vertrauen in politische Entscheidungsträger:innen.
Aufgabe von ihnen muss es sein, betroffene Personen in einer Krise bestmöglich zu unterstützen. Diese Unterstützungsstruktur ist aktuell mangelhaft und es fehlt sowohl an Ressourcen als auch an Strategien und Diskursen, um die aktuell entstehende und bereits entstandene Bildungskluft zu überbrücken. Eine derart umfangreiche Novelle zu diesem Zeitpunkt kann und wird von Betroffenen als weiterer Angriff auf ihre Lebenssituation gesehen. Es darf zu keinen gesetzlichen Veränderungen während Krisen kommen, die in sozioökonomischer Benachteiligungen resultieren.
Darüber hinaus die Novelle auf die Feiertage und prüfungsintensive Studienphase zu legen, ist ebenfalls nicht verständlich und verunmöglicht einen der Bildung würdigen demokratischen Diskurs.

Als Plattform setzen wir uns für einen freien Bildungszugang ein.

Die Unabhängigkeit der funktionierenden Universitäts-Demokratie und deren Selbstbestimmung werden durch die folgenden angedachten Punkte direkt angegriffen und ausgehöhlt:

  • Die Richtlinienkompetenz des Rektorats zur strukturellen Gestaltung der Curricula
    (§22)
  • Die Entmachtung des Senats bei der ersten Wiederbestellung des:der Rektor:in
    (§23b)
  • Die stärkere Politisierung des Unirates, wo nun auch die Setzung durch
    Parteifunktionäreder Gemeinde- und Bezirksebene ermöglicht werden soll (§21)

Wir sprechen uns entschieden gegen diese Änderungen aus.
Wir finden es problematisch, dass mit der Novelle nicht die Chance genutzt wurde, die partizipativen Strukturen an den Universitäten zu stärken. Gerade im Rahmen des Senates setzen wir uns für eine Struktur der Repräsentanz ein, die die Mehrheitsverhältnisse an der Universität besser abbildet. Das bedeutet, dass insbesondere das allgemeine Personal als auch die Studierenden mit stärkerem Stimmrecht ausgestattet werden und faire Beteiligungsstrukturen möglich sind.

Für eine freie Bildung muss es einen freien Hochschulzugang geben.

Damit dieser sichergestellt ist, dürfen bestimmte Personengruppen nicht ausgeschlossen sein. Jedoch wird mit Einführung der Mindeststudienleistung von 24 ECTS innerhalb der ersten zwei Jahre (§59a), der Sperrung zu dem jeweiligen Studium für zehn Jahre bei Nichterbringung dieser (§63) und der Streichung der Nachfrist (§61) vor allem berufstätigen Studierenden und allgemein Personen aus prekären Verhältnissen der Hochschulzugang enorm erschwert, wenn nicht sogar verunmöglicht.
Wir sprechen uns gegen jegliche Form von Exklusion aus.

Arbeitsverhältnisse an den Universitäten müssen gesichert werden.

Als Bildung Brennt unterstützen wir die Stellungnahmen der IG Lektor:Innen und Wissensarbeiter:Innen (siehe http://www.ig-elf.at/index.php?id=107) sowie des Arbeitskreises §109 von Bildung Brennt (siehe https://bildung-brennt.at/ueber-die-ug-novelle/stellungnahme-zu-paragraph-109/).
Wir halten fest:
Schluss mit Kettenverträgen! §109 im Universitätsgesetz muss fallen!

Wir sprechen uns für eine langfristige Perspektive für die in der Forschung und Lehre Beschäftigten aus, für Festanstellungen statt Kettenverträge und gegen eine weitere Prekarisierung von Lektor:innen und Wissensarbeiter:innen sowie drittmittelfinanzierter Forschungsprojekte.
Die wissenschaftliche Laufbahn soll unabhängig von Herkunft und Status leistbar sein und nicht noch mehr mit der UG-Novelle einhergehende Unsicherheiten bringen.
Wir fordern unbefristete Stellen – auch abseits der Professor:innenkurie, speziell für drittfinanziertes wissenschaftliches Personal und Lektor:innen.

Für eine freie Bildung zählt Qualität, nicht Effizienz.

Der gesellschaftliche Mehrwert von Hochschulbildung besteht nicht im Abarbeiten von Aufgaben, sondern im Entwickeln einer Mündigkeit und von qualitativ hochwertigen Fähigkeiten in einem (interdisziplinären) Fachbereich. Die Einführung der Mindeststudienleistung von 24 ECTS (§59a) setzt einen Effizienzgedanken um, welcher Quantität vor Qualität stellt. Auch die mögliche Einflussnahme des Rektorats und der Politik auf die Lehre (§21,§22,§23b), beschneidet die Lehrenden in der Gestaltung dieser. Dies ist als negativ zu werten.

Eine demokratische Gesellschaft verlangt freie Bildung und muss sich somit gegen jede Einschränkung dieser stellen. Die Hochschulen dürfen nicht entdemokratisiert werden, sie müssen demokratischer werden. Der freie Hochschulzugang darf nicht eingeschränkt werden, er muss freier werden und selbstbestimmte und interdisziplinäre Lebensentwürfe stärken. Die Qualität der Hochschullehre darf nicht Opfer von neoliberaler Effizienz und parteipolitischer Einflussnahme werden.

Bildung brennt.

Die UG-Novelle spricht die Situation von Nicht-EU/EWR-Studierenden zwar nicht direkt an, allerdings sind deren Studienbedingungen ohnehin überdurchschnittlich prekär und diese haben sich durch die Pandemie noch weiter verschlechtert. Daher sprechen wir uns explizit für eine Verbesserung der Gesetzeslage für Nicht-EU/EWR-Studierenden aus. Zu kritisieren ist dabei im Konkreten, dass ein Leistungsnachweis vorzulegen ist, welcher direkt an den Aufenthaltstitel gebunden ist. Zudem empfinden wir die Studiengebühren – insbesondere in Zeiten einer Pandemie – als untragbar und unverhältnismäßig hoch. Diese systematische Ungleichbehandlung – sowohl im finanziellen, als auch im bürokratischen Sinne – entspricht nicht unseren Grundsätzen und wir fordern sofortige und an die tatsächlichen Lebensrealitäten angepasste Verbesserungen für Nicht-EU/EWR-Studierende.

Wir halten es für notwendig, die gesamte Novelle zu widerrufen. Die wenigen positiven Vorschläge, wie Gendersensibilität, bringen keinen maßgeblichen gesellschaftlichen Fortschritt. So wird eine queere, trans, inter oder nicht-binäre Person zwar mit korrekten Pronomen exmatrikuliert, aber nichtsdestotrotz exmatrikuliert.
Wir fordern nicht nur eine Gleichstellung am Papier sondern auch eine reale Implementierung von Gleichstellung.

Es darf und kann nicht sein, dass politische Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg getroffen werden. Grundlegende Änderungen im Bildungssystem, ebenso in jedem anderen Bereich, brauchen einen breiten gesellschaftlichen Diskurs sowie einen weitestgehend partizipativen (im Sinne von selbstbestimmten) Entscheidungsprozess. Darauf wurde in dieser Novelle grundsätzlich verzichtet – wir stellen uns daher klar gegen solche Formen von Politik und die daraus resultierende Novelle.