Stellungnahme zu Paragraph 109

An das
Bundesministerium
für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Abteilung IV/9, Legistik
legistik.wissenschaft@bmbwf.gv.at

Wien, am 10 Jänner 2021

An das
Präsidium des Nationalrats
begutachtungsverfahren@parlament.gv.at

 

Betreff: Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem das Universitätsgesetz 2002 – UG, das Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz – HS-QSG und das Hochschulgesetz 2005 – HG geändert werden;

Bezug: GZ. 2020 – 0.723.953

ME 79/ME

Begutachtungsverfahren

Sehr geehrte Damen und Herren,

der AK 109 der Bildung Brennt übermittelt hiermit eine Stellungnahme zum Entwurf eines
Bundesgesetzes, mit dem das Universitätsgesetz 2002 – UG, das Hochschul-Qualitätssicherungsgesetz –
HS-QSG und das Hochschulgesetz 2005 – HG geändert werden.

Wir wünschen ausdrücklich die Veröffentlichung dieser Stellungnahmen auf der Parlamentsseite.

Mit freundlichen Grüßen

 

Bildung Brennt
Protestbewegung gegen die Novelle des Universitätsgesetzes (UG) 2021
Arbeitskreis „paragraph 109“
Kontakt: presse-bildung-brennt@riseup.net

 

Schluss mit Kettenverträgen! Paragraph 109 im Universitätsgesetz muss fallen!

Eva P. ist Mitte dreißig, promovierte Informatikerin und sehr erfolgreich in der Einwerbung von Forschungsprojekten aus Drittmitteln. Nach dem Doktoratsstudium an der Universität Wien ermöglichte
ihr das Erwin-Schrödinger-Auslandsstipendium eine 3-jährige PostDoc-Stelle am MIT in Cambridge/USA anzunehmen. Das letzte Jahr der Rückkehrphase verbrachte sie in Wien an ihrer Heimatinstitution, wo sie eine Professur anstreben wollte. Dass der Weg dorthin über prekäre Beschäftigung in befristeten Dienstverhältnissen führt, war ihr bewusst. Der Auslandsaufenthalt hatte sie allerdings auch gelehrt, wesentliche Dinge in ihrer Heimatstadt zu schätzen: langjährige Freundschaften und die Nähe zu ihrer Familie. Dank ihrer Auslandserfahrung und zahlreichen Publikationen erhielt Eva P. eine 3-JahresFörderung aus dem Hertha-Firnberg-Programm des FWF. Im letzten Projektjahr stellte Eva P. einen weiteren Forschungsantrag bei der Christian-Doppler-Forschungsgesellschaft. Da sie mindestens 6 Monate bis zur nächsten Kuratoriumssitzung warten musste und in der Zwischenzeit ihr Stipendium auslief, nahm sie zur Überbrückung einen Lektor:innen-Vertrag an der TU Wien an. In der Zwischenzeit wurde ihr Forschungsantrag in Zusammenarbeit mit amerikanischen Hightech-Unternehmen bewilligt bzw. für die maximal möglichen 7 Jahre in Aussicht gestellt.

Nach der geplanten UG-Novelle dürfte Eva P. von der Universität Wien, an der sie insgesamt 4 Jahre mit selbst eingeworbenen Drittmitteln geforscht hat, keinen neuen Vertrag mehr erhalten, da die
Gesamtdauer für befristete Dienstverhältnisse nun auf maximal 8 Jahre begrenzt ist. Gleichzeitig kann sie nicht davon ausgehen, dass die Universität ihr eine unbefristete Stelle garantiert – trotz ihrer herausragenden Erfolge beim Einwerben von Förderungen. Eva P. würde also frustriert entweder ins Ausland abwandern, oder sich in der Privatwirtschaft für einen unbefristeten Job bewerben.

Eine exzellente Wissenschaftlerin wie Eva P. hat soweit alles richtig gemacht und dennoch wird Eva P. durch die aktuell vorgelegte Gesetzesänderung ihre akademische Karriere aufgeben. Eva P. würde erkannt haben, dass sich erfolgreiches Einwerben von Drittmitteln und Streben nach international sichtbarer Exzellenz nicht auszahlt. Schafft sie es nicht in 8 Jahren zur Professur bzw. Tenure-Track-Stelle, scheidet sie Mitte/Ende dreißig automatisch aus dem akademischen Betrieb aus – analog zu vielen Kolleg:innen in Deutschland (siehe Wissenschaftszeitvertragsgesetz). Warum hat Eva P. nicht schon bei ihrer Rückkehr nach Österreich einen unbefristeten Vertrag bekommen, so wie in allen anderen Branchen üblich?

Aktuelle Situation

Der Paragraph 109 des Universitätsgesetzes räumt den österreichischen Universitäten als Dienstgeberinnen bezüglich der Aneinanderreihung befristeter Verträge größere arbeitsrechtliche Freiheiten ein als anderen Dienstgeber:innen im privatwirtschaftlichen Bereich. Im Allgemeinen ist es arbeitsrechtlich nicht vorgesehen, dass Dienstgeber:innen ihre Arbeitnehmer:innen mit aufeinanderfolgenden befristeten Verträgen beschäftigen können. Im Unterschied dazu sieht das Universitätsgesetz aktuell folgende Regelung vor bzw. wird folgende Praxis gelebt:

• Bis zu einer Gesamtdauer von 6 Jahren (Vollzeitbeschäftigung) können nacheinander befristete Dienstverträge ausgestellt werden. Bei Teilzeitbeschäftigung verlängert sich diese Dauer auf 8 Jahre.

• Nach dieser Dauer von 6 bzw. 8 Jahren muss die Beschäftigung an der aktuellen Universität kurz unterbrochen werden, damit das Dienstverhältnis nicht als rechtswidriger „Kettenvertrag“ gilt. Nach einer Unterbrechung kann wieder ein befristetes Dienstverhältnis an der ursprünglichen Universität angetreten werden.

Diese gelebte Praxis bzgl. der Kettenverträge stellt für die meisten Bediensteten im akademischen Mittelbau die einzige Möglichkeit einer längerfristigen Beschäftigung in der Wissenschaft dar und führt zu einer massiven Unsicherheit in Bezug auf die Planbarkeit der beruflichen Laufbahn und privaten Lebensplanung, vor allem im Bereich der drittmittelfinanzierten Projektmitarbeiter:innen. Auch die als Lektor:innen beschäftigten Mitarbeiter:innen in der Lehre sind dieser Praxis ausgesetzt. Beide Gruppen übernehmen wichtige Kernaufgaben im Betrieb einer Universität in Forschung und Lehre, werden aber nur äußerst selten in unbefristete Dienstverhältnisse übernommen, sondern mit Überbrückungslösungen zur Umgehung des Kettenvertragsverbotes in prekärer Beschäftigung meist nur für die Länge weniger Semester gehalten. Die unmittelbaren negativen Auswirkungen auf die Job- und Lebenszufriedenheit der Betroffenen sind hinreichend untersucht (F. Castellacci und C. Vinas-Bardolet (2020) in Studies in Higher Education: „Permanent contracts and job satisfaction in academia: evidence from European countries“).)
.

Situation mit der vorgeschlagenen Änderung des Paragraphen 109
Der Gesetzesvorschlag zur Änderung des Paragraphen 109 sieht vor, dass die Gesamtdauer der befristeten Dienstverhältnisse – egal ob Teil- oder Vollzeit ab Promotion – 8 Jahre nicht überschreiten darf. Die gelebte Praxis des Pausierens an der jeweiligen Institution und der darauffolgenden Wiederaufnahme ist also hinfällig, da nach 8 Jahren befristeter Beschäftigung in jedem Fall ein lebenslanges Beschäftigungsverbot an der Institution besteht. Für Lektor:innen ist die Situation noch dramatischer, da hier gilt, dass 6 Jahre nach dem ersten Arbeitstag keine Vertragskette mehr möglich ist. Diese Änderung erfolgt aufgrund der Klage einer über 12 Jahre lang befristet beschäftigten Mitarbeiterin an einer österreichischen Universität, die danach keine Weiterbeschäftigung erhielt (2 https://www.arbeiterkammer.at/kettenarbeitsvertrag, abgerufen am 3.1. 2021, 14:00 Uhr). Im Zuge dieses Verfahrens wurde der EuGH angerufen, der die unterschiedliche Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten kritisierte (http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&num=C-274/18, abgerufen am 4.1.2021, 15:30 Uhr).

Die aktuelle Novelle
sieht sich in der Verantwortung, der Gleichstellung von Teil- und Vollzeitbeschäftigen nachzukommen, erschafft aber für eine große Anzahl der aktuell Beschäftigten ein willkürliches Ablaufdatum ihrer wissenschaftlichen Karriere bzw. Lehrtätigkeiten. Ein ähnliches Modell wird bereits seit 2007 in Deutschland praktiziert, welches allerdings nicht zu einem entsprechenden Ausbau unbefristeter Stellen an den Universitäten, sondern in vielen Fällen nach spätestens 12 Jahren zu einem erzwungenen Ausscheiden aus dem Wissenschaftsbetrieb führt (https://www.jmwiarda.de/2020/12/15/keine-zukunft-mit-wissenschaftszeitvertragsgesetzkeine-zukunft-f%C3%BCrs-wissenschaftszeitvertragsgesetz/, abgerufen am 3.1. 2021, 15:00 Uhr). Es ist aufgrund der entfristungsfeindlichen Haltung der Universitäten nicht anzunehmen, dass sich die Situation in Österreich signifikant anders entwickeln wird.
Auch hier wird die Novelle dazu führen, dass eine Mehrheit der in Forschung und Lehre Beschäftigten an den Universitäten keine langfristige Perspektive hat. Diese Situation hat zur Folge, dass sowohl Lehre als auch die Arbeit an drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten – welche großteils durch Steuergelder finanziert werden – immer wieder von neu anzulernenden Mitarbeiter:innen durchgeführt werden müssen. Beim aktuellen Verhältnis von unbefristeten zu befristeten Mitarbeiter:innen käme es zu einem massiven Qualitäts- und Produktivitätseinbruch, da es für die befristeten Mitarbeiter:innen keinen Grund mehr gäbe, in etwas anderes als die eigene Aufwertung des Lebenslaufes zu investieren, um die Chancen auf eine erfolgreiche Bewerbung im Ausland zu wahren. Für Personen, für die ein Umzug ins Ausland nicht in Frage kommt, verschwindet die Möglichkeit einer längerfristigen Tätigkeit in der Wissenschaft komplett, sofern diese nicht zeitnah eine der wenigen Festanstellungen bekommen. Die wissenschaftliche Laufbahn wird demnach ein Abenteuer bleiben für jene, die sich die damit einhergehende Unsicherheit bedingt durch Herkunft und Status „leisten“ können und/oder optimistisch sind, mit Ende dreißig noch eine adäquate Tätigkeit im nichtakademischen Sektor zu finden. Letzteres ist durch die geforderte Spezialisierung in international kompetitiver Forschung als eher unwahrscheinlich einzustufen.

Was wir wollen
Eine Ausnahmeregelung für die Universitäten in Bezug auf die Kettenverträge ist nicht nachvollziehbar.
Wir fordern unbefristete Stellen – insbesondere abseits der Professorenkurie, speziell für drittfinanziertes wissenschaftliches Personal und Lektor:innen – sowie Personalentwicklungsstrategien, die der aktuellen Arbeitssituation an österreichischen Universitäten gerecht wird. Es ist aus unserer Sicht nicht einzusehen, warum Forscher:innen in ihrer Lebensplanung behindert und nach 6 bzw. 8 Jahren durch die geplante UGNovelle mit einem de facto Berufsverbot belegt werden. Die geplante Neuregelung des Paragraphen 109 macht weiterhin befristete Anstellungsverhältnisse für Wissenschafter:innen zum Regelfall, stärkt „Freunderlwirtschaft“ an unseren Universitäten und wird diese Probleme langfristig nicht lösen können.
Wir fordern daher, dass für Wissenschafter:innen – so wie in allen Branchen – das allgemeine Arbeitsrecht angewandt werden soll! Das österreichische Arbeitsrecht bietet ausreichend Flexibilität hinsichtlich Kündigungen von unbefristeten Verträgen – niemand wird heutzutage mehr automatisch pragmatisiert.
Wir wollen, dass mit nachhaltig-wirksamen Lösungen dem Prekariat in der Wissenschaft nach Jahrzehnten ein Ende gesetzt wird!

Deshalb fordern wir: Paragraph 109 muss zur Gänze entfallen!